Bruno Krayl ist Sohn des berühmten Architekten Carl Krayl, der als Mitstreiter von Taut und Göderitz in den 1920er Jahren in Magdeburg bedeutende Spuren hinterließ, und als Kenner der Moderne eine Autorität. Wie denkt er über die Pläne für den Grünen Stadtmarsch?

Sie gelten als Instanz und Anhänger des „Neuen Bauens“, das Ihr Vater in Magdeburg mit geprägt hat. Nicht zuletzt sind Sie eine Art architektonisches
Gewissen der Stadt. Was halten Sie von der Idee, an der Schleusenstraße ein neues Wohnviertel – den Grünen Stadtmarsch - entstehen zu lassen?
Die Bebauung dieses Areals war bereits Bestandteil von Bruno Tauts Generalsiedlungsplans von 1923. Er wollte die Elbe in die Stadt holen, weshalb die Siedlung Cracau in den 1930er Jahren auch
entstanden ist.
„Bruno Taut wollte die Elbe in die Stadt holen."
Bruno Crayl
An Planung und Bau der Siedlung waren damals mein Vater Carl Krayl mit Paul Wahlmann, Konrad Rühl und Gerhard Gauger beteiligt. Es ist bis heute das größte geschlossene Siedlungsgebiet auf der Ostseite. Bestandteil dieses Planes war die Bebauung des Ostufers der Stromelbe von der Strombrücke bis zur Stadthalle ...
... Pläne, die nie ganz umgesetzt worden sind.
Ja richtig. Anlässlich der Deutschen Theaterausstellung 1927 entstand auf der Elbinsel das von Albinmüller geplante Ausstellungszentrum mit Ausstellungshallen, Versuchsbühne, eine schwimmende
Bühne und den 61 Meter hohen Aussichtsturm.
„Die Fortführung der Tautplanung ist erst an den Finanzen und dann an den Nazis gescheitert."
Bruno Crayl
Am Südende der von Taut vorgeschlagenen Elbuferbebauung war der Bau der von Göderitz geplanten Stadthalle eine notwendige Ergänzung des Ausstellungsbereiches und dringend erforderlich für Großveranstaltungen in der Stadt.
Die Fortführung am Nordende der Tautplanung mit dem Bau eines Rathauses und der gesamten technischen Verwaltung auf dem heutigen Messeplatz ist erst an den Finanzen und dann an den Nazis gescheitert.
Nordgrenze des Stadtparks ist der Adolf-Mittag-See
Es gibt Menschen, die eine Bebauung an der Schleusenstraße mit dem Argument ablehnen, dass der Stadtpark für Wohnungsbau tabu sein
muss.
Mit Bezug auf den Stadtpark stimme ich uneingeschränkt zu. Aber die Nordgrenze des Stadtparks ist der Adolf-Mittag-See. Deshalb entstand ja auch 1927 zur Theaterausstellung der Markt- und
Messeplatz, auf dem bis zur Zerstörung 1945 zahlreiche Veranstaltungen stattfanden.
„Ich halte eine Bebauung am Stadtmarsch für dringend geboten ... Stadtplanung kann man nicht alle paar Jahre neu ordnen wollen."
Bruno Crayl
Ich halte eine Bebauung am Stadtmarsch für dringend geboten. Die fast 100 Jahre alte Siedlungsplanung jetzt ändern zu wollen, ist Unsinn. Stadtplanung ist ein langfristiger Prozess, auf den sich die vielen Beteiligten verlassen können müssen.
Zuletzt wurde das Gebiet im Städtebaulichen Rahmenplan (ISEK) von 2015 als potentielles Baugebiet festgeschrieben. Stadtplanung kann man nicht alle paar Jahre, oder nach Wahlen mit besonders gravierenden Mehrheitsverschiebungen, neu ordnen wollen.
Hier ist Magdeburg am schönsten
Anstelle eines Rathauses mit imposantem Turm wie in den 1920er Jahren geplant, soll nun ein Wohnviertel im Grünen entstehen. Was halten Sie
davon?
Ich finde das großartig, denn wegen des Blicks auf die Silhouette ist hier die Stadt am schönsten. Ich finde es gut, dass hier kein Mischgebiet mehr mit Gewerbe vorgesehen ist.
„Die Architektur muss sich dem Landschaftscharakter anpassen."
Bruno Crayl
Sondern?
Über die zunächst zu Papier gebrachte kompakte Bebauung mit einem langgezogenen Riegel war ich ebenso erschrocken wie über die Hochhäuser. Die Architektur muss sich dem Landschaftscharakter
anpassen.
Offen gesagt, ich habe schon ein bisschen Zeit gebraucht, um mir darüber klar zu werden, wie ich mich grundsätzlich zum Bauprojekt verhalte. Andererseits weiß ich aus meiner beruflichen Praxis, dass vieles ein Prozess ist und sich im Lauf der Zeit verändert und entwickelt.
Messeplatz muss erhalten bleiben
Warum keine Hochhäuser?
Die Messe verbietet dies. Der Platz muss als Messe- und Veranstaltungsplatz am Standort unbedingt erhalten bleiben, weshalb sich die neue Bebauung danach zu richten hat. Bei Hochhäusern bekommt
man den Lärmschutz nie so richtig in den Griff. Den sehe ich ohnehin als größtes Problem an.
„Die Idee, zum Messeplatz ein Parkhaus zu bauen, findet meine Zustimmung."
Bruno Crayl
Welche Ideen hätten Sie für den Lärmschutz?
Ich empfehle eine drei- bis fünfgeschossige Bebauung als Terassenhäuser mit einem sechsgeschossigen Gebäuderiegel und überkragendem Dach zum Messeplatz hin. Daran kann sich der Schall brechen.
Wichtig wäre auch mindestens eine doppelte Baumreihe, auf Lücke gepflanzt. Bäume schlucken Schall. Erstklassige Schallschutzfenster und eine ausreichende Wandstärke halte ich für eine
Selbstverständlichkeit.
Die Idee, zum Messeplatz ein Parkhaus zu bauen, findet meine Zustimmung. An den Ecken muss natürlich eine ansprechende Architektur die Masse des Gebäudes auffangen, eventuell könnte ja eine Art Turm helfen, in dem die Autos hinein- und wieder hinaus fahren.
Lebendiges Wohnviertel
Die Pläne sehen einen öffentlichen Bereich am Elbufer vor ...
Der ist auch ganz wichtig, denn das Viertel darf sich nicht abschotten. Es muss sich als offenes Entree in den dahinter beginnenden Park verstehen.
„Hier muss Stadtleben stattfinden. Je mehr, desto besser."
Bruno Crayl
Hier muss Stadtleben stattfinden. Je mehr, desto besser. Dafür gibt es ja schon viele Ideen: Café, Nachbarschaftstreff, Bäcker, Fahrradwerkstatt, Kita, Restaurant. Hier müssen die Leute sitzen können, um sich ihren Dom anzuschauen.
Würde das Areal auch ein Hotel vertragen?
Nein, es sollte ein lebendiges Wohnviertel im Grünen bleiben. Der Name „Grüner Stadtmarsch“ gefällt mir.
Bruno Krayl ist Sohn des berühmten Architekten Carl Krayl, der als Mitstreiter von Taut und Göderitz in den 1920er Jahren u.a. das AOK-Gebäude, das Gewerkschaftshaus am Ratswaageplatz und die Großsiedlungen in Magdeburg entworfen hat. Bruno Krayl selbst war maßgeblich an der Investitionsplanung und dem Bau von Neu-Reform beteiligt und ist bis heute ein wacher Geist und als Kenner der Moderne der 1920er Jahre eine Autorität.